Leutnant Pechvogel.

Humoreske von R. v. Rawitz
in: „Der Staats=Anzeiger” vom 05.12.1907


Die Hä:nde tief in den Paletottaschen vergraben, den Pelzkragen hoch emporgeklappt, im Mundwinkel eine Cigarette, mit langnachklapperndem Sä:bel schritt Baron Hagenow durch die Scheunenstraße, welche nach der Reitbahn seiner Husaren fü:hrte. Er achtete nicht auf das Geschrei der Straßenjungen, die hier eine Schneeballschlacht auskä:mpften, nicht auf den scharfen Ost, der ü:bčr die Bretterzä:une pfiff, gelassen ging er seines Wegs und war soeben im Begriff, um die Ecke der Bahn zu biegen, als eine Stimme hinter ihm ertönte: „Herr Baron — Herr Leutnant — Herr Leutnant von Hagenow!”

Lü:decke war es, der Briefträ:ger des kleinen Garnisonsstä:dtchens, der, einen Brief in der Rechten schwenkend, daherkam.

„Danke, Freund Lü:decke — danke! Ein Brief aus Berlin — und an mich? Die Handschrift kommt mir auch so bekannt vor, — na, wir werden ja sehen!”

Er nickte dem Postboten zu und betrat die Reitbahn. Zwölf Husaren tummelten bort ihre Rosse, der Aelteste meldete die Tour, und dann beganit die Reitstunde.

„Im abgekü:rzten Tempo—Trrrab! — Schmidt, nehmen Sie die Knie zurü:ck! Batzke — Absä:tze runtertreten — — der Tetenreiter da vorn nicht so ausreißen —kü:rzer, kü:rzer!"

Als die Abtheilung leidlich im Zuge war, nahm Hagenow seinen Brief aus der Tasche. Aus dem Couvert fiel eine elegante mattgelbe Karte mit Goldrand: „Euer Hochwohlgeboren beehre ich mich Namens des Vorstandes zur Theilnahme am Kavalierball im Kaiserhof am so und sovielsten aufzufordern. Waffenrock und Epaulettes bezw. Frack. — U. A. w. g. — v. Weißenstein, Geh. Legationsrath.”

Baron Hagenow strich das Schnurrbä:rtchen und pfiff vergnü:gt vor sich hin. „Kavalierball — alle Hagel, das ist was fü:r meinen Schnabel. Reizende Mä:dchen, charmante Frauen. Gardekavallerie, alle Botschaften — kurz alles, was'n bißchen was ist. Und dazu erstklassiges Orchester, neue Walzer und nachher Flasche Mumm, Extra dry, im Plaudereckchen — Mann, Mensch, Husar, Fritze Hagenow — da mußt du hin!„Durch die ganze Bahn changirt! Schmidt, Sie Himmelhund — die Ecken ausreiten! — Ja! Changirt! Changez les Dames! Die niedliche Komtesse Grü:llfingen wird natü:rlich auch da sein. Gott, das Mä:dchen! Wie ein Pfirsich das Gesichtchen! Ich muß hin, es hilft nichts. Ich werde Urlaub — ach — ja — Deibel!" Er sank in tiefes Nachdenken und sah kaum nach den Reitern, die es sich bequem machten, sobald sie merkten, daß ihr Leutnant heute nicht bei der Sache war.

Urlaub — ja, wie aber Urlaub bekommen? Der Rittmeister hatte ja neulich strikt erklä:rt, nun sei es aber genug, und das ewige „Nach Berlin fahren” mü:sse aufhören. Und Rittmeister von Rösenburg war ein Mann, der sein Wort hielt. Hier war also nichts zu wollen.

„Nö nischt zu wollen. Was mich aber nicht weiter abhalten wird. Was nicht legaliter geschieht, wird illegaliter ausgefü:hrt. Glü:cklicherweise ist es Sonnabend, da kann ich spurlos verduften.”

Diese Aussicht beglü:ckte den Baron so sehr, daß er plötzlich alles in rosigem Lichte sah: die graue, eiskalte Reitbahn, die ausgeblaßten Attilas seiner Husaren, die „Rosinantes”, „Wotans”, „Theklas” und wie sie sonst hießen, die Rekrutengä:ule der 4. Eskadron.

Das war am Montag gewesen, und nun hatte sich der Sonnabend eingestellt. Der Nachmittagsdienst war vorü:ber; Nachmittags ist an diesem Wochentag nie etwas los, und Hagenow wollte noch einen guten Imbiß im Kasino nehmen, als sein Rittmeister ihn noch einmal zwischen Exerzierplatz und Kasino stellte.

„Hören Sie mal, liebster Hagenow — was ich noch sagen wollte — die Kammern mü:ssen mal revidirt werden. Wie wä:r's mit heute Nachmittag? Ich hab's dem Quartiermeister schon gesagt. Aber recht sorgfä:ltig, bitte. Genau nach dem Kammerbuch! Ich bin ü:ber den Sonntag auswä:rts.” Hagenow erwiderte nichts, that aber in seinem Herzen einen fü:rchterlichen Fluch gegen alles, was Kammern, Quartiermeister, Zä:hlen und Sortiren heißt. Nun war kein Gedanke mehr, daß er den Zweiuhr-Zug erreichte, der ihn nach der Nachbarstadt beförderte, wo der große Berliner Schnellzug durchpassirte. Die einzige Hoffnung war noch der um fü:nf Uhr fä:llige Personenzug — vielleicht war es damit zu schaffen. Jedenfalls nahm er sich aber den Quartiermeister zuerst beiseite und hielt ihm folgende Rede:

„Um vier Uhr ist's dunkel, und bei der Lampe zä:hlen — das vertragen meine Augen nicht, mein lieber Schulze! Lassen Sie nur heute Ihr Mittagessen schießen, ich gebe Ihnen fü:nf Mark zum Abendbrot. Und nun man dalli, dalli, los mit dem Teufelskram — in drei Stunden mü:ssen wir fertig sein!”

Sie stiegen auf die Kammer, die nach Leder und Fett duftete, und begannen zu zä:hlen, daß alles nur so zitterte. Hagenow sprang wie ein erboster Kater zwischen den Sä:tteln, Eisen, Zü:geln und Decken umher, und sah alle fü:nf Minuten nach der Uhr; der Unteroffizier aber half ihm getreulich, kletterte mit unheimlicher Fixigkeit Leitern auf und ab, notirte Ziffern, addirte, subtrahirte, korrigirte und schmierte, nä:mlich mit Sattelseife alles, was ihm gerade in die Hä:nde fiel.

Endlich war das Zä:hlen beendet und Hagenow flog nach Hause. Mit bebenden Hä:nden packte er die beste Uniform ein, Attila, Stiefelchen — alles, was dazu gehörte. Dann warf er sich in einen Civilanzug, schloß die Wohnung zu und drü:ckte sich, in der Rechten den Koffer, in der Linken die Mü:tzenschachtel, zum Bahnhof. Glü:cklicherweise war es schon dunkel, so daß kein Husar auf der Straße in dem eiligen Civilisten seinen Vorgesetzten erkannte. Bald darauf stand er am Schalter: „Zweiter — bis zu Ende. Ich erreiche doch den Anschluß an den Berliner Schnellzug, wie?”

„Jawohl — aber hier unser Sekundä:rzug um fü:nf Uhr hat nur Dritter!”

„Na also Dritter, in Deibels Namen!”

Das einzige Coupee des kleinen Zugea war dicht besetzt von qualmenden Bauern; der Rauch ihrer Pfeifen verdü:sterte die ohnehin trü:be Oellaterne bis zum matten Schimmer. Hagenow war beglü:ckt darü:ber — hier konnte er schwerlich erkannt werden. Aber kurz, ehe der Zug abfuhr — Sporenklirren, Thü:raufreißen, laute Stimmen — zwei Husaren stiegen ein, der eine der Bursche vom Rittmeister, der andere ein Schreiber vom Regimentsbureau. Hagenow schwitzt Blut! .Wenn die Kerls ihn erkennen, ihn, den Leutnant, ohne Urlaub, dritter Jü:te! Diese Blamage erstens, und zweitens — wenn einer erzä:hlt, der Herr Leutnant sei in Civil, ohne Urlaub abgereist — heiliger Georg, Patron aller Reitersleute, hilf!

Er nimmt also ein Taschentuch und hä:lt es vor das Gesicht, als ob er Zahnschmerzen habe; eine alte Bauersfrau ist auch bald davon ü:berzeugt und empfiehlt ein Mittel, das natü:rlich unfehlbar helfen soll. Sie schwatzt unaufhörlich auf den schweigsamen Passagier los, der am liebsten die redselige Alte erwü:rgen möchte und ohne Theilnahme bis in den Abgrund ber Hölle verwü:nscht.

Endlich ist die Endstation der Sekundä:rbahn erreicht, als letzter verlä:ßt, in Angstschweiß gebadet, Hagenow das Coupe. Draußen reißt er zunä:chst seinen Paletot weit auf, um diesen infamen Tabakgeruch aus den Kleidern loszuwerden.

„Gottsdonnerwetter, ich bin ja das reine Stinkthier! Und damit auf den Kavalierball!”

Aber er hat nicht lange Zeit zur Besinnung und zum Auslü:ften. Drü:ben auf dem anderen Bahnsteig glä:nzen schon die hellerleuchteten Fenster des D-Zuges, der vor wenigen Minuten in den Bahnhof eingefahren ist. Die zwei oder drei Minuten bis zur Abfahrt genü:gen fü:r den Leutnant gerade noch, um ein Billet erster Klasse nach Berlin zu lösen und in die offene Coupeethü:r zu springen. Dann pfiff die Maschine und der D-Zug brauste hinaus in die schneedurchströmte Winternacht.

„Ah! Uff! — Endlich gerettet!”

Der Baron schiebt den Hut weit aus der Stirn, trocknet die Schweißperlen mit seidenem Foulard und dreht sich langsam nach dem anderen Insassen des Wagenabtheils um — ah — alle Wetter! — sein Vorgesetzter!

„Guten Abend, lieber Hagenow!”

„Guten Abend, Herr Rittmeister!”

„Ei — ei, sieh da — wir fliegen wieder einmal aus, natü:rlich ohne Urlaub! Hagenow, Sie sind ein unverbesserlicher Leichtfuß!”

Hagenow hat sich schnell gefaßt:

„N' ganz klein bißchen, Herr Rittmeister! Unser Nest ist Sonntags wirklich zu langweilig!”

„Mag sein — aber ohne Urlaub — Mann, wenn der Commandeur das erfä:hrt, kommen Sie in Teufels Kü:che! Na, mir kann es gleich sein! Was wollen Sie denn in Magdeburg?”

„In Magdeburg? Nichts! Wieso, Herr Rittmeister?”

„Nun, ich meine, wenn man nach Magdeburg fä:hrt, hat man doch dort irgend etwas vor, Geschä:ft oder Vergnü:gen ober sonst was!”

„Natü:rlich — aber wir fahren ja nach Berlin!”

„Wer sagt Ihnen das? Dies ist der D-Zug nach Magdeburg? Sie sind wohl in den falschen Zug gestiegen?”

„Ich will zum Kavalierball nach Berlin!”

„Ach du armes Karnickel! Daraus wird wohl nun nichts mehr werden. Aber so was kommt von so was! Nun rathe ich Ihnen, fahren Sie heute Abend ruhig nach Hause und lassen Sie den Ball — Ball bleiben. Jedenfalls sparen Sie viel Geld dabei!”

„Viel Geld —” Hagenow faßte in die Tasche, zuckte zusammen und sank dann vernichtet in die Sammtpolster.

„Ich Pechvogel — ich habe meine Börse verloren!”

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